Also wir sind mal wieder bezirzt vom Präsidenten der Türkei, Recep Tayyip Erdogan. Mit seinen scharfen Adleraugen hat er wie kein anderer die eigentlichen Verantwortlichen hinter dem Putschversuch 2016, den Protesten im Gezi Park und jeder anderen oppositionellen Regung identifiziert. Denn hinter dem Bösen – Prediger Fethullah Gülen, der dem Bürgermeister Ankaras zufolge mit Dschinns paktiert (hier) – lauert immer ein noch böseres Böses – wir aka die Strippenziehe aka die Zinslobby aka das Weltjudentum aka die internationale Schriftstellerlobby (letzteres war uns neu!). Da die türkische Bevölkerung bestens informiert ist (die Protokoll der Weisen von Zion wie auch Mein Kampf erscheinen seit 2005 in hohen Auflagen, hier) bleibt diese Deutung nicht nur auf die paar Spinner und Aluhutträger beschränkt (#XavierNaidoo). So berichtete die TAZ gestern Folgendes:
Vielen im Westen ist entgangen, dass Erdoğan die Schuld am Putschversuch vom 15. Juli 2016 wiederholt einem angeblichen „Strippenzieher“ zugeschrieben hat. Laut Erdoğan „wird heute ein ganz hinterhältiges, ganz abscheuliches und mieses Spiel mit unserer Region und unserem Land getrieben. Was ich den Strippenzieher nenne, zeigt sich uns jeden Tag mit neuen Teufeleien und versucht, die Saat der Feindschaft und Zwietracht in unserer Region zu säen. Er versucht, die Zukunft unserer Region in Blut und Tränen, in Bürgerkrieg und Sezessionskriegen zu ertränken. Uns ist bewusst, dass es hier um einen Machtkampf geht.“
Erdoğan wirft dem „Strippenzieher“ vor, in Form einer angeblichen „Zinslobby“ die wirtschaftliche Entwicklung der Türkei zu hemmen; in der internationalen Presse, beispielsweise in der „jüdischen“ New York Times Lügen über die Türkei zu streuen, um ihn aus dem Amt zu jagen; Intellektuelle zur Türkeikritik aufzustacheln, so etwa die sogenannte „internationale Schriftstellerlobby“; Unruhe im Innern zu stiften, darunter die Gezi-Proteste von 2010; für Terroranschläge verantwortlich zu zeichnen, ob sie nun von linken, islamistischen oder kurdischen Guerillas verübt werden; und schließlich wirft er ihm auch den Juli-Putsch vor.
Wer sprach noch einmal von einem Antisemitismus nach Auschwitz? Hat irgendjemand je wirklich geglaubt, die Dinge seien nach der Vernichtung der europäischen Juden anders geworden?